Straßenverkehr:
Radfahren u.v.a., verkehrspsychologische Aspekte
1. Warum fahre ich
Rad?
2.
Psychologische Theorie über die
visuelle Wahrnehmung der Autofahrer.
3. Plädoyer für
eine grundsätzliche Umorientierung der Verhältnisse
im Straßenverkehr
Vor etwa 25 Jahren habe ich mein Auto verkauft und bin freiwillig
aufs Fahrrad umgestiegen, ich habe also so etwas wie "Silberhochzeit"
mit meinem Rad. In der Zeit bin ich mehr als 100.000 km gefahren,
also etwa 2 1/2 mal um die Erde!
Ich habe in dieser Zeit unheimlich viel wunderschöne,
beglückende und positive Erlebnisse und Stunden erlebt;
wegen dieser Silberhochzeit habe ich mal versucht, die positiven
Gründe des Radfahrens zusammenzustellen:
Warum fahre ich Rad, was ist das Beglückende
am Radfahren?
- ich sitze und rolle
- ich bewege mich aus eigener Kraft
- Bewegung ist/macht Lust
- ich spüre mich
- ich habe den fast kompletten Rundumblick
- ich sehe die Welt
- ich höre die Welt
- ich rieche die Welt
- ich bin autark
- es kostet extrem wenig Geld
- es hält mich gesünder
- last but not least: [Wegfall von C minus:] ich verpeste
nicht die Welt
Radfahren enthält wesentliche Elemente von Schwimmen
und Fliegen:
wenn ich gehe, belastet mein – leider nicht unerhebliches
– Gewicht die unteren Gelenke, Hüft-, Knie- und
Fußgelenke und das tut manchmal weh; ich muß jeden
Schritt aktiv machen, wenn ich den Energie-Input unterbreche,
bleibt mein Körper sofort stehen!
Anders beim Radfahren: mein Gewicht sitzt auf dem Sattel,
das ist ein bißchen so wie beim Schwimmen, nicht gerade
ganz schwerelos, aber die unteren Gelenke sind deutlich entlastet;
und anders als beim Schwimmen ist der Luftwiderstand so ähnlich
wie beim Fliegen: wenn ich den Energie-Input mal unterbreche,
„fliege“ ich erst mal weiter!
Geht´s schöner? Nein!!!
Und dann die Wahrnehmung: wenn ich radfahre,
- habe ich einen fast kompletten Rundumblick, ich sehe viele
Farben, die schier unendliche Variabilität des Grüns
der verschiedenen Büsche und Bäume und des Blaus
des Himmels, die Blumen in den Vorgärten, die Oberflächenstrukturen
der Häuser usw. usw.,
- da ich ohne Knöpfe im Ohr fahre, höre ich die
Geräusche der Welt!
Manchmal entsteht (auch) beim Radfahren ein Flowgefühl,
das ist mit so das beglückendste, was man erleben kann:
das Blut und alle verfügbare Energie fließt durch
den ganzen Körper, läßt einen von den Haarspitzen
bis zum Ende des dicken Zehs mit sich selber eins und identisch
fühlen, man hat auf einmal mehrere Aha-Erlebnisse - vorher
unzusammenhängende Gedankensplitter verbinden sich plötzlich
zu Erkenntnissen! Und das alles ohne Drogen!
Kurz: beim Radfahren spüre
ich wie sonst selten, daß ich lebe!
Der Mensch lebt nicht alleine, man begegnet immer anderen
Menschen - mehr oder weniger beglückend; somit auch beim
Radfahren: ich begegne anderen Radfahrern, Fußgänger,
Auto- und Lkwfahrern, Polizisten und vielen anderen Menschen,
und diese Begegnungen finden in unterschiedlichen Kontexten
statt.
Wenn ich mich außerhalb meiner Wohnung
befinde, bewege ich mich im "öffentlichen Raum",
dort bin ich automatisch "Verkehrsteilnehmer".
Manchmal ist Radfahren nicht beglückend, manchmal ist
es - sehr - ärgerlich, manchmal tut es - sehr - weh,
und manchmal ist es auch - ohne sehr - tödlich! Ich lebe
noch - und hoffentlich noch einen Weile und hoffentlich werde
ich nicht zu Tode gefahren!
Ich bin u.a. auch Psychologe und die Art, wie ich mich in
der Welt und die Welt um mich herum wahrnehme, ist auch von
meinem Sosein als Psychologe beeinflußt. Schon im 1.
Semester habe ich gelernt, der eigenen Wahrnehmung zu mißtrauen,
z.B. führt die fokussierte Wahrnehmung von Sachen, über
die man sich ärgert, zu völlig unrealistischen Häufigkeitsvermutungen
und Vorurteilen. Da hilft - und das ist durchaus als psychologische
Erkenntnistechnik zu beschreiben - protokollieren und Strichliste
machen. Z.B. hatte ich vor etlichen Jahren mal den Eindruck,
daß fast alle Radfahrer, die mir im Dunkeln entgegenkommen,
ohne Licht fahren. Dann habe ich ein halbes Jahr aufmerksam
gezählt und siehe da: es waren nur 10%; das ist immer
noch viel zu viel, aber es sind nicht alle. Anderes Beispiel:
ich mußte auf meiner Arbeit alle zwei Wochen einen Vortrag
über Streß und Streßbewältigung halten
und habe dabei u.a. Radfahren als nahezu ideale Streßbewältigungsstrategie
propagiert; es kam immer in den anschließenden Diskussionen
das Argument, daß es doch viel zu oft regnen würde;
ich habe daraufhin zwei Jahre (1997 und 1998) lang jeden Tag
das Wetter protokolliert auf dem Weg zur Arbeit und nachmittags
zurück und siehe da: es regnete in den beiden Jahren
so selten, daß ich nur zweimal pro Jahr die Gummihose
anziehen mußte! Hingucken, protokollieren, zählen,
Strichliste machen relativiert die eigene Wahrnehmung und
läßt sie realistischer werden.
Wenn sich dann aber unangenehme Ereignisse, die ich überhaupt
nie haben will - wie z.B. das Überholtwerden im Abstand
von 2 cm unten an der Pedale - häufen, dann fange ich
an darüber nachzudenken, wie so etwas passieren kann,
welche begünstigende und behindernde Faktoren da mit
rein spielen können, wie die handelnden Menschen, die
so etwas machen, ticken und welche gesellschaftlichen Bedingungen
solche Verhaltensweisen fördern. Dann schreibe ich mal
was auf und bearbeite das solange, bis es mir stimmig und
rund erscheint.
-----------------------------------------------------------------------------
Kurzgefaßte
psychologische Theorie über die visuelle Wahrnehmung
der Autofahrer
1. Anfangsbeispiel
Radfahrer erleben in endlosen Varianten das Phänomen,
daß sie im Straßenverkehr von Autofahrer gesehen
werden, diese aber nicht auf sie reagieren:
„der hat mich doch gesehen!“
Ein Beispiel zur Erläuterung: ein Autofahrer will vom
Parkplatz eines großen Baumarktes kommend nach Hause
fahren; die Ausfahrt führt erst über einen Gehweg,
dann über einen Radweg, dann kommt der abgflachte Bordstein
und dann die Straße.
Der Radfahrer (ich) fährt auf dem Radweg in vorgeschriebener
Richtung; er sieht, daß ein Auto ganz langsam aus dem
Parkplatz fährt, der Autofahrer schaut (von sich aus
gesehen) nach links,
er sieht ihn (den Radfahrer, mich), schaut ihn an
und rollt ohne zu bremsen über den Fußweg und
über den Radweg bis zum Bordstein:
der Radfahrer muß Vollbremsung machen, um nicht vom
Autofahrer überfahren zu werden!
Eine Situation, die in tausend Varianten jeder Radfahrer
kennt: Stürze und Halbstürze sind dabei an der Tagesordnung!
Dabei geht einem immer wieder der Gedanken durch den Kopf:
„Verdammt noch mal, der sieht mich doch! Warum bremst
der nicht?“
2. Wie nimmt ein Autofahrer sich in der Umwelt wahr?
Nachdem ich mehrfach solche Situationen erlebt habe, ist
mir plötzlich und schlagartig klar geworden, daß
ich in meiner Diplomarbeit derartiges Verhalten auf wesentlich
elaborierterer, allgemeinerer Ebene behandelt habe und somit
in der konkreten Anwendung dieses Autofahrerverhalten erklären
kann.
Das Verhalten dieses Autofahrers ist erklärbar mit der
„Theorie des kontextorientierten Suchens“.
Es geht dabei um den Zusammenhang von aufmerksamer Wahrnehmung
und Entscheidungsprozessen . (In den Jahren
1973 - 75 habe ich an meiner Diplomarbeit in Psychologie gearbeitet.
Sie hatte den Titel: "Analyse von Erkennungsprozessen;
ein Trainingsexperiment zum Alternativeneffekt beim visuellen
Suchen". Es ging dabei kurz gesagt darum, zu analysieren,
wie aufmerksame Wahrnehmung funktioniert, welche Prozesse
dabei ablaufen und wie schnell sie ablaufen.)
Diese Theorie soll an einem Beispiel erläutert
werden:
Jemand geht in ein Kaufhaus, um eine dunkelgrüne Hose
zu kaufen; er schaut über die Stangen von Hosen, erst
langsam und dann immer schneller; irgendwann stockt der Blick;
er hat eine grüne Hose entdeckt und prüft sie nun
genau, ob die Farbe der gewünschten Zielfarbe entspricht.
Wenn das nicht der Fall ist, huscht der Blick weiter, wobei
die zu Anfang zögerliche Geschwindigkeit des „Huschens“
ganz bald erheblich ansteigt; und immer, wenn etwas Grünes
entdeckt wird, stockt der Blick und prüft die Zielfarbe
ab.
Dieser Ablauf, der Wechsel von schnellem Drüberhinweghuschen
und aufmerksamem, genauem Prüfen, beschreibt die „Theorie
des kontextorientierten Suchens“. Diese Theorie kann
erklären, warum und wie Such- und Aufmerksamkeitsprozesse
extrem schnell ablaufen können.
Hier also an diesem Beispiel: man schaut über die erste
Stange und prüft zu Anfang einige wenige Hosen einzeln
darauf ab, ob sie dunkelgrün sind; wenn die Antwort jeweils
"Nein" lautet, geht der Blick und damit der aufmerksame
Prüfprozeß zur nächsten Hose weiter.
Diesen anfänglichen, langsam ablaufenden Prüfprozeß
nennt man:
zielorientiertes oder targetorientiertes Suchen.
Dabei bildet sich im ZNS sehr schnell innerhalb weniger Sekunden
ein Muster von gewisser Breite (mehrere Hosen) heraus mit
der internen Bezeichnung:
"so sieht ein Haufen Hosen aus, in dem KEINE dunkelgrüne
ist"
also eine "ziellose Umgebung" oder (Fachjargon)
"targetloser Kontext". (Ein bis dato
unbekanntes Ergebnis meiner Diplomarbeit bestand darin, daß
ich nachgewiesen habe, daß sich solche Kontexte innerhalb
von Sekundenbruchteilen bilden!)
Nun geht das Suchen wesentlich schneller, weil jeweils solch
ein ganzer Haufen Hosen nur noch kurz darauf abgecheckt werden
braucht, ob er dem targetlosen Kontext entspricht; wenn „Ja“,
dann geht es blitzschnell weiter zum nächsten Haufen
Hosen.
Diesen Prüfprozeß nennt man kontextorientiertes
Suchen.
Erst wenn ein „Nein“ kommt, wenn also etwas Grünes
das Drüberhinweghuschen des Blickes gestoppt hat, setzt
wieder die zielorientierte Aufmerksamkeit ein und das Loch
im Kontext wird überprüft, ob es dem Target (dunkelgrüne
Hose) entspricht.
Das kontextorientierte Suchen erlaubt es uns, wesentlich
schneller zu suchen und zu handeln - weil aufmerksamkeitsfreier!
Soweit in Kürze die „Theorie des kontextorientierten
Suchens“.
Wenn man jetzt die Elemente aus dem Hosensuchbeispiel auf
die Realität des Autofahrers überträgt, der
aus dem Baumarktparkplatz kommt, sieht dies so aus:
der Autofahrer kommt aus dem Parkplatz und will auf die Straße,
er schaut nach links und sucht eine Lücke im Autostrom.
Das ist sein Ziel, sein „Target“!
Da jedes Ziel (Target) eine blitzschnell gebildete Umgebung
(Kontext) hat, hat also dieses Target folgenden Kontext:
das gesamte Blickfeld, alles andere, was er visuell wahrnimmt,
ist für ihn „Kontext“: der Himmel, die Häuser,
die Straße, der Autostrom, die Armaturen seines Autos,
seine Hände am Lenkrad: alles was er sieht ist der Kontext
namens:
„Nicht-Lücke-im-Autostrom“!
Seine Augen huschen aufmerksamkeitslos darüber hinweg.
Erst eine Lücke in diesem Kontext erzeugt Aufmerksamkeit
und die zielorientierte Frage: „ist die Lücke groß
genug?“
Alles andere, was er sieht, löst KEINE Aufmerksamkeit
aus!
Ein Großteil der Situationen, die man als Radfahrer
erlebt, wenn man sich entsetzt fragt, wie denn der das nur
machen kann, da er einen doch gesehen hat, sind mit dieser
Theorie erklärbar.
3. Generalisierung der Theorie des kontextorientierten
Suchens:
das Verhalten von Autofahrern im Straßenverkehr
Ich komme zurück auf mein Anfangsbeispiel: der Autofahrer
hat eine Lücke im Autostrom entdeckt, bei der er erkennt,
daß sie groß genug ist, um auf die Straße
zu fahren und sich in den fließenden Verkehr einzureihen.
Er fährt auf der Straße. Was ist jetzt sein Target
und was ist targetloser Kontext? Sein Ziel ist, von A nach
B zu kommen, z.B. nach Hause zu fahren; alles was er jetzt
sieht und wahrnimmt, was nicht sein zu Hause ist, gehört
zu seinem targetlosen Kontext: die Straße, die Kurven,
die Kreuzungen, ja sogar die Ampeln gehören zum targetlosen
Kontext, die keinerlei Aufmerksamkeit und
Entscheidung auslöst! Nur wenn er z.B.
eine andere Musik hören will (ein anderes Target), wird
seine Aufmerksamkeit ausgelöst, während sein Auto
weiterrast, verläßt er den Kontext „nach
Hause“, schaut aufmerksam aufs Radio und entscheidet
sich, auf den Knopf für Sendersuchlauf zu drücken;
ist das Ziel erreicht – genehme Musik – wendet
er sich wieder seinem Kontext „nach Hause“ zu
und
schwimmt weitgehend entscheidungsfrei im nichtaufmerksamkeitsfordernden
Kontext!
und zwar mit hoher Geschwindigkeit, denn – siehe oben
- das kontextorientierte Suchen erlaubt es uns, wesentlich
schneller zu suchen und zu handeln weil aufmerksamkeitsfreier!
Die hohe Geschwindigkeit der Autofahrer ist eine unmittelbare
Konsequenz des targetlosen, aufmerksamkeitsfreien Kontextes.
Das krasseste Beispiel dafür ist die Autobahn: hier ist
von der Behörde der Autofahrerkontext schier unendlich
versimplifiziert worden, hier wird nirgendwo eine Entscheidung
gefordert: hier darf, kann und muß schnell gefahren
werden!
Hier spätestens kommt ein weiterer entscheidender Faktor
zur Erklärung des Autofahrerverhaltens ins Spiel: die
Straßenverkehrsbehörde: sie macht ALLES, damit
der Autofahrer weitgehend entscheidungsfrei im nichtaufmerksamkeitsfordernden
Kontext schwimmen kann!
- Sie definiert: Straße ist da, wo Autofahrer fahren
– ja sie geht noch einen Schritt weiter, sie spricht
nicht von Autofahrern, sondern von Autos, als wenn Autos sich
verhalten könnten!
- sie sperrt mögliche aufmerksamkeitsauslösende
Störungen (Radfahrer, Fußgänger) so weit als
möglich von der Straße weg; einfaches Beispiel:
ein Zebrastreifen löst Aufmerksamkeit und Entscheidung
aus, eine Ampel und somit auch eine Fußgängerampel
nicht; also werden immer mehr Zebrastreifen in Fußgängerampeln
umgewandelt zum eindeutigen Nachteil für die Fußgänger,
die dann nämlich nicht automatisch Vorrecht haben, sondern
dieses erst beantragen müssen – der Autofahrer
hat ja immer Grün. Das wirklich perverse an dieser Entwicklung
ist die allgemeine Begründung: das machen wir nur zu
Ihrer (Fußgänger) Sicherheit! (Nach
der „Machtübernahme“ der Nazis wurden engagierte
Christen, Gewerkschaftler und Sozialdemokraten nur zu ihrer
eigenen Sicherheit in KZs gesperrt! Diese Bemerkung ist bewußt
zynisch und unpsychologisch, aber pervers stimmig!)
Zusammenfassung:
Wir haben hier also zwei Sätze, die fast das ganze Verhalten
von Autofahrern im Straßenverkehr erklären:
A): Der Autofahrer schwimmt weitgehend entscheidungsfrei
im aufmerksamkeitslosen Kontext!
B): Die Straße ist ausschließlich für die
Autos da!
Weil der Autofahrer entscheidungsfrei im aufmerksamkeitslosen
Kontext schwimmt,
ist die Straße nur für Autos da.
Weil die Straße eigentlich nur für Autos da ist
(und die anderen da nichts zu suchen
haben) kann er aufmerksamkeitslos schwimmen.
Ein wesentlicher Bestandteil des aufmerksamkeitslosen Schwimmens
ist die Geschwindigkeit.
Weil der Autofahrer aufmerksamkeitslos schwimmt, tut die
Straßenverkehrsbehörde alles, um ihm Störungen
dieses Zustands vom Leib zu halten: Fußgänger,
Radfahrer etc. müssen WEG!
Weil die Straße für Autos da ist, schwimmt der
Autofahrer aufmerksamkeitslos und nimmt
Störungen, die NICHT AUTO SIND, wegen seiner ihm eigenen
kontextangepaßten Geschwindigkeit viel zu spät
war. Da die Geschwindigkeit nicht störungsangepaßt
ist, tauchen für ihn diese Störungen immer ganz
plötzlich auf, z.B. Radfahrer die „mit 100 Sachen
angerast kommen“!
Nachsatz:
Als ich vor 25 Jahren auf mein Auto verzichtet habe und aufs
Rad umgestiegen bin, hatte ich in den ersten zwei Jahren viele
Unfälle, Stürze, Platten, schmerzhafte Borsteinbegegnungen
usw. Als ich dann mein „Aha“-Erlebnis hatte (s.o.),
erkannte ich auch, daß ich offensichtlich genauso Fahrrad
gefahren bin, wie ich vorher Auto gefahren bin, nämlich
entscheidungsfrei im nichtaufmerksamkeitsfordernden Kontext
geschwommen bin!
Sehr schmerzlich erkannte ich, daß der Radfahrerkontext
ein völlig anderer ist, daß ich meine Aufmerksamkeit
permanent auf alles Mögliche richten muß:
- Löcher auf der Straße, durch Wurzel verursachte
Hubbel, Scherben, Brennessel, Brombeerranken, Gitter und Sperranlagen,
Bordsteine, Straßenschilder in Kopfhöhe, Straßenbahn-
und Eisenbahnschienen, Tellerminen usw.
Als Essen und das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt war, wurde die
Autobahn 40 für ein Wochenende für Fußgänger
und Radfahrer freigegeben; ich bin von Wattenscheid bis Dortmund
gefahren: sehr nachhaltig ist mir in Erinnerung geblieben,
wie popoglatt der Asphalt einer Autobahn
ist, so einen angenehmen Straßenbelag habe ich als Radfahrer
noch nie erlebt!
- Und ich muß vor allem meine Aufmerksamkeit
richten auf die ganzen Autofahrer, die in mir keinen anderen
Verkehrsteilnehmer sehen, sondern eine Störung, die aggressiv
weggemacht werden muß! Autofahrer zwingen mich, mich
in sie hineinzuversetzen und vorherzusehen, welchen Scheiß
sie gleich machen werden: ich bin permanent bremsbereit!
- Und auch auf Fußgänger muß ich permanent
achten; wenn die nämlich die Straße überqueren
wollen, schauen die meistens nicht mehr nach links, sondern
die hören nach links – und wenn dann kein lautes
Auto kommt sondern ich als geräuschloser Radfahrer, dann
latschen die los und ich muß vorher wissen, was die
tun wollen!
Ich glaube mittlerweile, daß das aufmerksamkeitslose
Schwimmen das eigentlich verführerische am Autofahren
ist!
---------------------------------------------------------------------------------
Hier folgen Überlegungen, die unter anderem auch psychologisch
entstanden und begründet sind:
Plädoyer
für eine grundsätzliche Umorientierung der Verhältnisse
im Straßenverkehr am Beispiel der Ampelproblematik:
Ich bekenne:
„ich fahre bei
Rot über Ampeln!“
Radfahrern wird oft pauschal vorgeworfen, daß sie bei
Rot über die Ampel fahren und wenn dann mal einer dabei
erwischt wird, redet er sich meistens schuldbewußt mit
irgendwelchen haarsträubenden Ausreden raus!
Ich drehe den Spieß um, ich rede mich nicht raus, sondern
ich bekenne offen, daß ich gelegentlich absichtlich
und mit vollem Bewußtsein bei Rot über Ampeln fahre!
Und ich begründe dieses „ordnungswidrige“
Verhalten folgendermaßen:
1.: Bei Induktionsampeln kann ich nicht
vorhersagen, ob sie auf mich reagieren.
2.: Es gibt Ampeln, die sind für Autofahrer sinnvoll,
für Radfahrer aber nicht.
3.: Ampeln sind undemokratische Zwangsmaßnahmen, ihre
Übertretung ein Tabubruch.
4.: Die Ampelinflation ist neurotisch.
5.: Verkehrsverflüssigung und Verkehrsberuhigung gilt
nur für Autofahrer.
6.: Die Taktung der Fußgängerampeln ist für
Radfahrer unsinnig.
7.: Ampeln sind für Autofahrer erfunden worden.
8.: Der Gesetzgeber will nicht, daß Radfahrer –
entgegen gebetsmühlenartig wiederholter Propaganda –
Verkehrsteilnehmer wie alle anderen sind.
9.: Warum heißt der Kotflügel „Kotflügel“?
10.: Die StVO ist grundgesetzwidrig.
1. Als ich 1984 nach Bonn gezogen war, habe
ich hier zum ersten Mal in meinem Leben induktionsstreifengesteuerte
Ampeln erlebt. Wenn ich dann nachts um 2 Uhr mit
meinem Fahrrad die B9 an der Wurzerstraße überqueren
wollte, sprang die Ampel nicht auf Grün, ich konnte machen
was ich wollte, bis hin dazu, daß ich mein Rad quergelegt
über die Induktionsschleife geschoben habe! Die Ampel
sprang nicht auf Grün. Zu der Zeit habe ich bemerkt,
daß einige Ampeln auf mein Fahrrad reagiert haben und
einige nicht, ich konnte es aber nicht vorhersehen! Daraufhin
habe ich diesen Umstand der Straßenverkehrsbehörde
gemeldet und sie gebeten, die Ampeln dahingehend zu kennzeichnen,
ob sie auf Fahrräder reagieren oder nicht. Mir wurde
nicht geantwortet. Bei der 3. Wiederholung meines Briefes
habe ich die Bitte in eine Aufforderung umgewandelt: es erfolgte
überhaupt keine Reaktion, weder wurde mir geantwortet,
noch wurden die Ampeln gekennzeichnet!
Ich habe daraus den logischen Schluß gezogen:
a) eine induktionsgesteuerte Ampel, die ich nicht auslösen
kann, gilt für mich nicht und
b) Ampeln, bei denen ich nicht erkennen kann, ob sie auf mich
reagieren, gelten für mich auch nicht!
Jetzt – 31 Jahre später – stelle ich fest,
daß es immer noch Ampeln gibt, die auf mein Fahrrad
nicht reagieren! Also gilt ganz einfach erst einmal mein Grundsatz
weiter: induktionsgesteuerte Ampeln gelten für mich nicht
– nicht deswegen, weil ich mich etwa außerhalb
der gesetzlichen Ordnung stellen würde – nein,
ich kann sie nicht auslösen bzw. weiß nicht, ob
ich sie auslösen kann!
2. Ich bin kein Selbstmörder, deswegen fahre
ich nicht über alle roten Ampeln!
Es gibt sinnvolle Ampeln und völlig sinnlose Ampeln und
ich erlaube mir, zu entscheiden, daß ich in der Lage
bin, diese Unterscheidung treffen zu können!
Die Verwaltungsvorschrift zur StVO bestimmt, daß Ampelanlagen
nur dort aufgestellt werden dürfen, wo sie den Verkehrsablauf
verbessern und nur dann, wenn ein Sachverständiger die
Notwendigkeit geprüft und die Verbesserung bestätigt
hat. Was der Gesetzgeber hier natürlich nicht sagt, aber
meint, besteht darin, daß er nur die Verbesserung des
Verkehrsablaufes der Autofahrer im Blick hat! Wäre dem
nämlich nicht so, müßte an Stellen, wo mehr
Fußgänger als Autofahrer aufeinander treffen, die
Fußgänger permanent Grün haben und Autofahrer
ein Grün erst durch Induktionsschleife „beantragen“
müßten!
Ein für mich sehr unangenehmer Aspekt der roten Ampel
realisiert sich bei Regen: wenn ich bei Rot stehen bleibe,
wird mein Sattel naß, wenn ich dann weiterfahre, wird
meine Hose naß; spätestens nach der 3. roten Ampel
wird mein Hintern naß: das mag ich nicht und erst recht
nicht, wenn die Ampel sinnlos ist. Wenn ein Autofahrer vor
einer roten Ampel steht, sitzt er bequem in seinem Sessel
und fährt bei Grün weiter. Der Autofahrer stelle
sich mal vor, er müsse bei jeder roten Ampel aussteigen
und jemand bespritzt seinen Sitz mit Wasser und an der nächsten
Ampel wieder und an der nächsten Ampel wieder –
denn grüne Welle gäbe es nur für Radfahrer!
Das ist meine Realität bei Regen mit den vielen unsinnigen
Ampeln, die grüne Welle nur für Autofahrer kennen!
Ich als Radfahrer nehme die Umwelt, in der ich mich bewege,
völlig anders wahr als Autofahrer die ihre! Ich habe
mal alle Autos in meiner Straße ausgemessen und bin
zu folgendem Ergebnis gekommen:
durchschnittlich befinden sich die Augen beim
Radfahrer: Autofahrer:
etwa 175 cm etwa 125 cm über dem Boden und
etwa 85 cm etwa 230 cm hinter der Vorderkante des
Fahrzeuges;
außerdem wird der Blickwinkel des Autofahrers durch
seitliche Autoteile eingegrenzt!
Das bedeutet: ich habe meine Augen 50 cm höher und 145
cm vor den Augen des Autofahrers und mein Blick wird durch
nichts behindert! Ich habe den ungehinderten Rundumblick,
Autofahrer sehen signifikant weniger!
Wenn ich langsam auf eine ampelgesteuerte Kreuzung zufahre,
sehe ich ohne abzusteigen, ob es kreuzenden Verkehr gibt –
und das in der Regel mehrere hundert Meter weit nach rechts
und links. Wenn dort kein kreuzender Verkehr ist, wird durch
eine rote Ampel kein Verkehrsablauf verbessert! Nur dann aber
dürfte da eine Ampel stehen!
Ein weiteres in Bonn sehr beliebtes Beispiel ist der Radweg,
der parallel zur Bahn von Godesberg nach Bonn und umgekehrt
führt: wenn die Schranke sich schließt und geraume
Zeit vorher der Querverkehr Rot hat, macht es absolut keinen
Sinn, den parallel verlaufenden Radverkehr während der
gesamten Schließungsphase anzuhalten – und es
wird dies auch nicht durch irgendeine Verordnung so bestimmt,
entgegen der falschen Behauptung des Straßenverkehrsamtes!
Darauf angesprochen sagte mir der Leiter des StVA: „Ich
will das aber so!“!!!
Das leitet zum nächsten Punkt:
3. Der Geßlerhut: Ampeln haben in
unserer demokratisierten Welt die Funktion des Geßlerhutes
(siehe Wilhelm Tell): vor roten Ampeln muß stehen geblieben
werden – egal ob das Sinn macht oder nicht, egal ob
der Sinn einsehbar ist oder nicht: wer das nicht macht, rüttelt
an einem wesentlichen und staatserhaltenden Tabu, der hinterfragt
die Ordnung in unserem Staatswesen: die rote Ampel ist das
Symbol der alles erhaltenden und alles umfassenden Ordnung
in unserem demokratischen Rechtsstaat!
Bei Wilhelm Tell hat die Staatsmacht (Geßler) einen
Hut aufgestellt, vor dem alle stehenbleiben und sich verbeugen
mußten; wer das verweigerte, verweigerte die Akzeptanz
der Macht des Staates! Wilhelm Tell hat sich verweigert und
mußte zur Strafe einen Apfel vom Kopf seines Sohnes
schießen!
Wir haben statt dessen rote Ampeln, vor denen man stehenbleiben
muß - ohne irgend etwas zu hinterfragen. Daß das
Überfahren der roten Ampel ein Tabubruch ist, erkennt
man an den heftigen und z.T. völlig irrationalen Reaktionen
derer, die einen dabei erwischen! Manche Autofahrer hupen
wie wild und brüllen die wildesten Beschimpfungen und
Beleidigungen durchs runtergelassene Fenster! Und auch die
gebetsmühlenartig vorgetragene Behauptung vieler Polizisten
– egal weswegen ich sie anspreche oder auffordere, tätig
zu werden, erstmal schallt mir entgegen: „Radfahrer
fahren bei Rot über die Ampel!“ Und man kann mit
den allermeisten Menschen (= Autofahrern) darüber überhaupt
nicht diskutieren!
Die neueste Konsequenz bei erwischter Rotübertretung
steht im neuen Bußgeldkatalog: diese exorbitant hohe
Strafe ist mit nichts anderem zu erklären als damit,
daß hier mit aller staatlicher Gewalt ein Tabubruch
unterbunden werden soll: wer rote Ampeln überfährt,
rüttelt an den Grundfesten unserer demokratischen Grundordnung
(das kenne ich doch noch von früher: als ich mir 1967
einen Bart habe stehen lassen, habe ich damit angeblich auch
an den Grundfesten der demokratischen Grundordnung gerüttelt
– dieser Schoß ist wahrlich immer noch fruchtbar!)
Im Gegensatz zu dieser irrationalen Einengung des Denkens
sieht die Realität völlig anders aus. Da ich mittlerweile
Rentner bin, habe ich mir mal die Zeit genommen, eine Stunde
den Verkehr an der Kreuzung Hochkreuzallee / Godesberger Straße
zu beobachten (sie liegt genau 1 km von meiner Wohnung entfernt
und hat eine Ampel).
Ergebnis: in einer Stunde sind für mich wahrnehmbar etwa
30 (!) Autofahrer über die Kreuzung gefahren, obwohl
längst Rot war, kein Radfahrer ist bei Rot gefahren,
aber 10 Radfahrer wären beinahe von unachtsam abbiegenden
Autofahrern angefahren worden! Das ist die Realität –
nicht repräsentativ, aber bemerkenswert!
4. In Bonn stelle ich seit vielen Jahren
eine Ampelinflation fest: an den unmöglichsten
Stellen werden Ampeln aufgestellt, ohne daß man die
in der VwV zu StVO festgelegte Verbesserung der Verkehrssituation
feststellen kann.
Auf diese Inflation der Ampeln in Bonn läßt sich
sehr genau die Watzlawick´sche
(s. Anleitung zum Unglücklichsein) Definition von Neurose
anwenden:
"mehr desselben";
das bedeutet: wenn ein Problem besteht und man für dieses
Problem eine gute Lösung gefunden hat, dann neigt der
Mensch dazu, diese Lösung auf immer mehr Probleme anzuwenden
(mehr desselben), bis die Lösungen nicht mehr "gut"
sind, sondern "neurotisch"! So ist die Situation
im Bonner Straßenverkehr!
5. Ampeln haben die vorgeschriebene Funktion der
Verflüssigung des Verkehrs (im wesentlichen
des Autoverkehrs!) und / aber auch die Funktion der Beruhigung
des (Auto-)Verkehrs: weil Autofahrer sich offensichtlich grundsätzlich
nicht an Geschwindigkeitsbegrenzungen halten (können?),
müssen sie mit Hilfe von unregelmäßig auf
Rot springenden Ampeln ausgebremst (diszipliniert) werden!
Das hat dann zur Folge, daß Autofahrer mit hoher Geschwindigkeit
auf die grünen und gelben Ampeln zurasen, wenn sie halten
mußten dann bei Grün wieder ordentlich Gas geben
und dann macht die Stadtverwaltung wieder "mehr desselben",
d.h. mehr Ampeln und mehr Bodenwellen, über die die meisten
Autofahrer mit max. 10 km/h schleichen und dahinter dann auf
70 beschleunigen! Nur: weder mich als 15 – 25 km/h-fahrenden
Radfahrer, noch die radfahrenden Mütter und Opas und
Omas braucht man zu beruhigen, warum müssen wir an solchen
Ampeln halten?
mitgegangen – mitgefangen - mitgehangen!
6. Fußgängerampeln: Wenn ich
von der Straßenverkehrsbehörde gezwungen werde,
auf schmalen gemeinsamen Geh-/Radwegen vorsichtig und rücksichtsvoll
(was ich natürlich mache) im Abstand von z.T. nur wenigen
Zentimetern an Fußgängern vorbeizufahren, dann
macht es aus dieser Sicht überhaupt keinen Sinn, daß
ich an einer roten Fußgängerampel stehenbleibe,
wenn ich sehen kann, daß der einzige Fußgänger,
der rübergegangen ist, schon 50 m weiter weg ist!
Und überhaupt, der Unsinn der Fußgängerampel:
am Zebrastreifen haben Fußgänger immer und sofort
und uneingeschränkt Vorrecht! Wenn aber der Zebrastreifen
in eine Fußgängerampel umgewandelt wird, weil manche
Autofahrer wie gesengte Säue fahren, verliert der Fußgänger
sein Vorrecht und muß warten – denn sie sind immer
so getaktet, daß Autofahrer per se Grün haben!
Der Fußgänger wird bestraft und der Autofahrer
wird belohnt! Der Fußgänger steht dann nämlich
im Regen und wartet, obwohl er sieht, daß von links
und von rechts NICHTS kommt – und dann ist da wieder
ein „Geßlerhut“ und „mehr desselben“
und wehe, man erlaubt sich, bei Rot rüberzugehen, wenn
Eltern mit Kindern da stehen: beschränkt sich die Erziehung
zum mündigen Staatsbürger auf das sinnlose Einhalten
roter Ampeln?
7. Eher grundsätzlicher Art erlaube ich mir,
die Ampelregelung überhaupt zu hinterfragen:
Warum gibt es überhaupt Ampeln? Und warum sind sie so
getaktet?
Ampeln haben einen Grund und eine Ursache:
Autofahrer sehen wenig, fahren aber schnell!
Um dies aufrechtzuerhalten, wird ihnen von offizieller Seite
alles aus dem Weg geräumt, was sie daran hindern könnte
und damit sie sich gegenseitig nicht über ein allgemein
akzeptiertes Maß totfahren, brauchen sie Ampeln, die
auf ihre eigene Bedürfnisse getaktet sind.
Wenn ich gelegentlich ein Auto fahre, wundere ich mich immer
wieder, wie extrem eingeschränkt meine visuelle Wahrnehmung
ist (s.o.), es ist nur ein bißchen übertrieben,
wenn ich sage, Autofahrer fahren fast blind! Damit aber diese
Wahrnehmungseinschränkung nicht zu permanenten Unfällen
führt, ist das Verhalten der Autofahrer extrem reguliert:
Vorfahrtsregelung, Stopschilder, Ampeln, Leitplanken. (Und
auch hierin – in der exzessiven Reglementierung - ist
die Wut vieler Autofahrer zu verstehen, wenn sie sehen, daß
ein Radfahrer bei Rot rüberfährt!). Wenn ein Autofahrer
auf eine Kreuzung zufährt, sieht er erst einmal nicht,
was rechts und links vor sich geht und oft ist es so, daß
er dann, wenn er den kompletten Überblick hat, schon
mit 2 Metern seiner Autoschnauze auf der Querfahrbahn steht!
Deswegen „muß“ da eine Ampel hin!
Aber was hat das mit mir zu tun? Im Gegensatz zu ihm sehe
ich alles ohne anzuhalten! Offensichtlich gilt auch hier der
Grundsatz:
„Mitgegangen – mitgefangen – mitgehangen!“
8. Denn ich bin ja angeblich ein Verkehrsteilnehmer
wie alle anderen!
Dieser Satz ist aber leider hirnamputierter Unsinn!
Radfahrer sind NICHT Verkehrsteilnehmer wie alle anderen!
Ich wünsche, es wäre so!
Die Realität ist aber eine komplett andere, nicht weil
ich das so gerne hätte oder mir einer abgeht, wenn ich
bei Rot rüberzufahre: NEIN,
a) der Gesetzgeber,
b) die Straßenverkehrsbehörde,
c) die Staatsanwaltschaft und die Richter,
d) die Polizei und schließlich
e) sehr viele (nicht alle!) Autofahrer behandeln mich als
Radfahrer gänzlich anders als Autofahrer!
Hier nur einige wenige Beispiele:
zu a): das Straßenverkehrsrecht sagt: Fahrräder
sind keine Fahrzeuge; Radwege sind keine Straßen; der
Radfahrer kommt im Straßenverkehrsgesetz überhaupt
nicht vor; für Radfahrer gibt es nur Ausnahme- und Sonderregelungen:
s.o. alles was den Autofahrer behindern könnte, wird
als Ausnahme definiert oder verboten, wie z.B.
just die einzige Klingel, die im Auto gehört werden könnte
(grrrr!)!
zu b): Die Verkehrsführung für Radfahrer ist (bewußt?)
chaotisch und oft überhaupt nicht einhaltbar, hierzu
nur einige Bespiele:
- ich fahre auf der Straße, auf blauen Radwegen, auf
weißen Radwegen (fälschlich „Sicherheitsstreifen“
genannt), die manchmal baulich getrennt sind oder mit einem
durchgezogenen Strich von der Straße abgetrennt sind
oder von einem unterbrochenen Streifen: jedesmal ist mein
Rechtsstatus gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern
ein anderer;
- oder: wenn ein Radweg und eine Autostraße sich kreuzen,
gilt NICHT „rechts vor links“;
- wenn der rechte Radweg plötzlich endet, gilt NICHT
„rechts vor links“;
- wenn ich gezwungen werde, auf die andere Straßenseite
zu fahren, gilt NICHT „rechts vor links“;
- laut VwV zur StVO ist der links geführte Radweg ohne
Ausnahme verboten: hält sich überhaupt irgendeine
Verkehrsbehörde daran?
- In der Präambel zur StVO steht, daß Wege „stetig“
sein müssen: das gilt aber wieder mal und offensichtlich
nur für Autofahrer und ihre Autostraßen, das gilt
NICHT für Radfahrer und ihre Radwege: die fangen plötzlich
an und hören plötzlich auf! Das schärfste,
was mir damit passiert ist, war etwas außerhalb von
Köln, als ich auf dem Weg zu einer Weiterbildung war:
rechts war ein Radweg, plötzlich stand ich vor dem Schild
„Durchfahrt verboten für Radfahrer, andere Straßenseite
benutzen“; nachdem ich mich durch den laufenden Verkehr
rübergehangelt hatte, sah ich, daß auf der anderen
Seite dasselbe Schild stand! Ich habe die Polizei angerufen,
die nach einer halben Stunde kam, und die gefragt, wo ich
denn bitteschön fahren solle/dürfe; die haben sich
die Situation angeschaut und sind wortlos abgehauen!
Die wenigen Schutzbestimmungen für Radfahrer in der VwV
zur StVO werden unvorhersehbar mal eingehalten, mal nicht
und meistens NICHT – es gibt ja keine Amtshaftung usw.!
Dazu kommen wirklich nur als katastrophal zu bezeichnenden
Wegeverhältnisse: Hubbel wegen querlaufender Wurzeln,
Brombeerranken, Brennnesseln, Bordsteine und Sperranlagen
auf Radwegen: ich habe mal gezählt, daß ich:
1 Bordstein alle 0,5 km d,h, pro 1 km: 2,0 Bordsteine
1 Bordstein alle 1´ 50´´ d,h, pro 1 Min:
0,5 Bordsteine
1 Barrikade alle 0,36 km d.h. pro 1 km: 0,7 Barrikaden
1 Barrikade alle 5´ 26´´ d.h. pro 1 Min:
0,2 Barrikaden habe!
Ein Bordstein ist ein Tritt ins Schambein und Schlag unter
die Handgelenke,
Eine Barrikade bedeutet, daß meine gesamte Aufmerksamkeit
davon absorbiert wird, nicht dagegen zu knallen und drumherum
zu kommen und daß meine Aufmerksamkeit von dem mich
umgebenden Verkehr abgezogen wird:
und das alles zu meiner eigenen „Sicherheit“!
zu c): Die Staatsanwaltschaft Bonn und die Oberstaatsanwaltschaft
Köln weigern sich beharrlich bei schweren Verkehrsverstößen
gegen Radfahrer, die nur wegen geistesgegenwärtiger Vollbremsung
des Radfahrers nicht zum Tod oder schweren Verletzungen geführt
haben, zu ermitteln mit der zynischen Begründung: „Es
ist ja nichts passiert!“ Und wenn es dann trotzdem zu
einem Verfahren kommt, wird der Radfahrer von den Richtern
entweder in die Rolle des Prozeßhansels gerückt,
oder er wird – wenn er es wagt seinen Mund aufzumachen-
gerne mal verwarnt wegen Mißachtung der Würde des
Gerichts! usw.
zu d): Die Polizei hat sich als Ordnungsmacht längst
verabschiedet! Wenn ich es wage, hinter einem Polizisten herzubrüllen
(wie soll ich mich denn im Straßenverkehr hinter einem
Autofahrer sonst verständlich machen?), er solle gefälligst
den vorgeschriebenen Seitenabstand einhalten, bleibt der im
günstigsten Falle stehen und untersucht mein Rad genau
auf StVZO-Verstöße – im Amtsdeutsch heißt
das Amtsmißbrauch, der ist aber immer zu zweit, ich
immer allein! Die Vorurteile der Polizisten habe ich oben
beschrieben. Als ich mal in Godesberg einem älteren Radfahrer
zu Hilfe geeilt bin, der erlaubterweise verkehrtherum in der
Einbahnstraße gefahren ist, von Polizisten aber deswegen
gerügt und verwarnt worden ist und dem sie sogar ein
Knöllchen verpassen wollten, wurde mir mit Verhaftung
gedroht. Wenn ich mich dann nicht erschrecken lasse, passiert
es mir immer wieder, daß die sich plötzlich umdrehen
und abhauen! Mir ist es auch oft passiert, daß ich in
solchen unsinnigen Diskussionen mit Polizisten sage: „Schauen
Sie mal, während sie mir hier was vorwerfen, was gar
nicht regelwidrig ist, hat dieser Autofahrer dort eine Ordnungswidrigkeit
begangen und der da drüben auch und die lassen sie alle
laufen bzw. fahren – was soll diese Ungleichbehandlung?
Sie sagen doch zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit,
daß Radfahrer Verkehrsteilnehmer wie alle anderen seien!“
usw.
zu e): Autofahrer verhalten sich zu Autofahrern völlig
anders als zu Radfahrern.
Z.B.: wenn ich mit dem Auto links in meine Straße abbiegen
will bei kontinuierlichem Gegenverkehr, läßt mich
im Durchschnitt der 3. entgegenkommende Autofahrer durch –
ich habe das monatelang gezählt. Wenn ich dasselbe mit
dem Fahrrad mache, läßt mich niemand durch –
auch das habe ich gezählt! Oder das Verhalten der entgegenkommenden
Autofahrer ist so chaotisch uneindeutig, daß ich zu
meiner eigenen Sicherheit nicht zu fahren wage. Grundsätzlich
gilt, daß Autofahrer (nicht alle) das Verhalten, das
sie gegenüber Fahrradfahrern an den Tag legen, gegenüber
anderen Autofahrern nicht machen: abdrängen, schulmeistern,
den Weg versperren, rücksichtslos Rücksichtsnahme
erzwingen, gedankenlos übersehen usw. usw.
9. und überhaupt: „warum heißt der
Kotflügel eigentlich Kotflügel?“
Im Anfang war die Straße und der Weg, und darauf bewegten
sich Menschen mit und ohne Fahrzeugen und Tiere, und die Menschen
schütteten ihre Nachttöpfe auf die Straße
und die Tiere schissen einfach so auf die Straße und
deshalb waren die Straßen voll Kot. Dann wurde das Fahrrad
erfunden und es bestand keine Notwendigkeit, deswegen nun
neue Gesetze und Verordnungen zu erlassen.
Als dann die Menschen aber mit Autos auf diesen beschissenen
/ verkoteten Straßen in bis dato nicht gekannter Geschwindigkeit
fuhren, spritzte die allgegenwärtige Scheiße in
alle Richtungen, d.h. die Autofahrer bespritzten andere und
sich selber!
Um nun zu verhindern, daß die Autofahrer sich selber
mit Kot bespritzten, wurde der KOTFLÜGEL erfunden:
er verhinderte überhaupt nicht, daß alle anderen
Teilnehmer am Straßenverkehr
von den Autofahrern mit Scheiße / Kot bespritzt wurden,
denn diese waren und sind den Autofahrern im wahrsten Sinne
scheißegal!!!
Und danach erst wurde wegen dieses Soseins der Autofahrer
das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung
und die Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung
geschaffen!
Wenn ich Fahrrad fahre, bespritze ich niemanden mit Scheiße!
10. last but not least: Das Grundgesetz!
Das StVG, die StVO, die VwV zu StVO und damit auch die Ampeln
und die Stopschilder gibt es nur wegen der Autofahrer und
des Soseins der Autofahrer: alles ist darauf ausgerichtet,
daß die Autofahrer möglichst unbelästigt von
anderen so fahren können, wie sie es vermögen und
wollen und deswegen ist die gesamte StVO grundgesetzwidrig,
weil sie Autofahrer bevorzugt: das darf aber laut GG nicht
sein! Der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes besagt, daß
niemand bevorzugt oder benachteiligt werden darf – wegen
gar nichts!
Das gesamte Verkehrsrecht (StVG, StVO, VwV StVO usw.) ist
historisch gewachsen in einer Zeit, als das Grundgesetz noch
nicht existierte, ja es ist in seinen Grundgedanken und der
Grundstruktur erwachsen in der Phase zwischen Spätfeudalismus
und Frühindustrialisierung. Es hat in der Folgezeit viele
Änderungen gegeben, die aber alle nicht die Grundgedanken
verändert haben und das Verkehrsrecht an das Grundgesetz
angepaßt haben.
Eine wesentliche Quelle der Straßenverkehrsordnung
ist die wesentlich ältere Wasserstraßenverkehrsordnung,
die notwendiger war als eine Straßenverkehrsordnung,
weil Schiffe – ursprünglich Segelschiffe –
keine Bremse haben und nicht rückwärts fahren können.
Die Wasserstraßenordnung läßt sich auf ganz
wenige Elemente zusammenfassen:
- auf dem Wasser kann man schwimmen, wo man will;
- kein Schiffsführer darf den Kurs so ändern, dass
er anschließend auf Kollisionskurs mit einem anderen
ist;
- große Schiffe haben Vorrecht vor kleinen;
- und für Segelschiffe gleicher Größe gibt
es eine windrichtungsorientierte Vorfahrtsregel.
Das Verkehrsrecht, insbesondere die StVO ist nicht menschenorientiert
sondern fahrzeugorientiert (abgeleitet von der Schiffahrtsordnung):
es wird von einem grundsätzlichen Vorrecht aller Menschen,
die ein Kraftfahrzeug führen, ausgegangen; Menschen,
die kein KFZ führen, insbesondere Fußgänger
und Radfahrer, werden prinzipiell benachteiligt und ihnen
werden zum Ausgleich Ausnahmerechte eingeräumt: das alles
ist grundgesetzwidrig! Nach GG ist die Würde aller Menschen
unantastbar und es ist die Pflicht aller stattlicher Einrichtungen,
dies zu gewährleisten und nach GG sind alle Menschen
gleich, das bedeutet, daß Gleiches gleich und Ungleiches
ungleich behandelt werden muß.
Es wird endlich, über 60 Jahre nach Gründung der
Bundesrepublik, Zeit, das Verkehrsrecht an die Demokratie
anzupassen!
Ich möchte hier erstmal nur einige Vorschläge machen,
wie dieser Gedanke in die StVO einzupassen ist:
Rot = Änderung
§ 1 Grundregeln:
(1) Menschen bewegen sich im öffentlichen
Raum. Sie sind gleich in ihren Rechten und Pflichten.
(2) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige
Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
(3) Jeder Teilnehmer
am Straßenverkehr hat sich so zu verhalten, daß
kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als
nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt
wird.
(4) Teilnehmer am Straßenverkehr
sind sowohl alle Menschen, die sich im öffentlichen Raum
bewegen, als auch alle, die aktiv und planend in den öffentlichen
Verkehr eingreifen.
§ 2 Straßenbenutzung durch Fahrzeuge
(1) Fahrzeuge sind technische Geräte,
die der Fortbewegung dienen.
(2) Fahrzeugführer
müssen die Fahrbahn benutzen, von zwei Fahrbahnen die
rechte. Seitenstreifen sind nicht Bestandteil der Fahrbahn.
usw. usw.
Entsprechend diesem neuen § 1 Abs. 4 StVO muß
auch § 315b des Strafgesetzbuches
“Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr“
geändert werden:
§ 315b StGB
Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt,
daß er
1. Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt
oder beseitigt,
2. Hindernisse bereitet,
3. einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff
vornimmt oder
4. durch Planung oder verwalterische
oder hoheitliche Akte existierende Gesetze oder
Vorschriften mißachtet
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde
Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe
bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
Die ganze Straßenverkehrsgesetzgebung und das Strafgesetzbuch
müssen daraufhin durchgearbeitet werden, daß im
öffentlichen Raum der Mensch als verantwortlich handelndes
Subjekt gilt und nicht sein Fahrzeug und nicht sein Beruf
(Beamter bei den Straßenverkehrsbehörden) –
und somit das GG endlich auch auf der Straße gilt!
|